Psychotherapie, Coaching, Supervision
Mag. Helmut Egger
Psychotherapeut (Systemische Familientherapie, ÖAS)
Klinischer und Gesundheitspsychologe (BÖP)
Supervisor und Coach (ÖVS)
Weiterbildung Kinder- und Jugendlichentherapie (VPA)
Praxis:
5023 Salzburg Zeisigstr. 30 (Gemeinschaftspraxis Gnigl)
4020 Linz Volksfeststrasse 12 (Praxisgemeinschaft Rundherum)
Psychotherapie, Coaching, Supervision
Mag. Helmut Egger
Psychotherapeut (Systemische Familientherapie, ÖAS)
Klinischer und Gesundheitspsychologe (BÖP)
Supervisor und Coach (ÖVS)
Weiterbildung Kinder- und Jugendlichentherapie (VPA)
Praxis:
5023 Salzburg Zeisigstr. 30 (Gemeinschaftspraxis Gnigl)
4020 Linz Volksfeststrasse 12 (Praxisgemeinschaft Rundherum)

Es war ein spannender Kongress zur narrativen Therapie, den ich drei Tage lang – vom 8.6. – 10.6.2023 in Salzburg miterleben durfte. Ein durchaus inspirierender Versuch, Forscherinnen (das ist korrekt formuliert, denn zufällig oder nicht, die Forscherinnen waren alles Frauen) und Praktiker:innen der narrativen Therapie zusammen und zumindest in nuce in einen Dialog zu bringen – und zwar Forscherinnen, die Inputs zu den Themen Ökologie, Gender, Feminismus, Rassismus und Migration beisteuern können. Die Kongressankündigung war zwar narrative Therapie und Philosophie in den Dialog zu bringen, ich habe allerdings breitere Forschungsthemen als rein philosophische hier wahrgenommen (das soll keine Krititk sein, ganz im Gegenteil!) Ich werde nun – selbstverständlich völlig subjektiv – meine persönlichen Highlights berichten und dann noch ein paar weiterführende Gedanken spinnen zu den politischen Themen des Kongresses und was dabei vielleicht implizit auch da, aber nicht benannt war.

Die offizielle Eröffnung fand am Freitag, den 9.6. vormittags statt. Aber es gab auch bereits am Donnerstag Pre-Workshops, und der Workshop von Jakob Peter aus England und Jan Olthoff aus den Niederlanden war für mich schon ein erster Höhepunkt. Die beiden zeigten an zwei eigenen Fällen und in Kooperation und geradezu Ko-Evolution mit der Gruppe der Workshop-Teilnehmer:innen, was mit ihrem Konzept des „nomadischen Teams“ gemeint ist (Olthoff & Jakob 2022, Olthoff 2022). Es ist schwer, das Erlebte im Nachhinein zu beschreiben. Das Besondere war, wie auf eine sehr offene Art wirklich die ganze Vielfalt verschiedener Sichtweisen, die durch die verschiedenen Teilnehmer:innen im Raum waren, sichtbar und nutzbar werden konnte und aus diesen vielen Stimmen aber auch so etwas wie eine gemeinsame Geschichte, welche sich organisch entwickelte, sichtbar wurde – eine Geschichte, die sicherlich, sogar mit derselben Gruppe an Personen bei einem nächsten Versuch mit dem gleichen Ausgangspunkt, dennoch wieder anders und genauso ‚passend‘ sich entwickeln würde – dieses Offene, das trotz der Offenheit eine Struktur hatte, fand ich äußerst faszinierend. Die beiden Referenten nannten ihren Pre-Workshop sicherlich nicht umsonst eine „narrative Jam-Session“: Improvisieren, auf die Anderen Bezug nehmen, etwas zusammen machen und doch die eigene Stimme hörbar machen, oder in den Worten der Referenten: „…nomadic practice in Narrative Therapy requires skill and structure, while at the same time opening itself to improviation and creativity“ (aus der Workshop-Ankündigung).

Spannend am Freitag waren dann vor allem die Vorträge am Vormittag für mich, wobei ich besonders David Denborough aus Australien und Jill Freedman & Gene Combs aus USA hervorheben möchte, weil beide auf ihre Art das Politische, das in der Narrativen Praxis steckt deutlich machten: Nämlich die Aufgabe, marginalisierten Gruppen in der narrativen Praxis eine Stimme zu geben, ohne kolonialisierend zu sein. Das ist natürlich auch eine Aufgabe, die über das klassische Setting der Psychotherapie hinausweist. Gerade an einer Person wie David Denborough, der auch viel Gemeinwesenarbeit immer wieder gemacht hat und auch in schwierigen politischen Kontexten wie in Ruanda oder im Gazastreifen mit dortigen narrativen Praktiker:innen tätig gewesen ist, kann man das auch sehr gut sehen (Denborough 2017). Jill Freedman & Gene Combs zeigten in dieselbe Richtung. Besonders in Erinnerung an ihrem Vortrag blieb mir ein beeindruckendes Interview eines narrativen Kollegen aus Ruanda. Sehr passend dazu, wie ich fand, der überragende Vortrag von Prof.Nikita Dhawan, Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden über „Global Ethics and the Imperative to save the planet“. Es wurde für mich sehr deutlich: Die Welt können wir nur gemeinsam retten – aber gemeinsame Aktion würde auch eine gewisse Gleichheit voraussetzen, die immer noch nicht gegeben ist. Wir hier im reichen Westen merken oft nicht, wie viel kolonialistisches Erbe immer noch vorhanden ist und die Welt immer immer noch von ungleichen Chancen, ungleicher Ressourcenverteilung usw. gekennzeichnet ist. Passend dazu und ebenfalls zu (Selbst-)Kritik anregend der Vortrag am nächsten Tag von Professorin Martina Tißberger, tätig an der Fachhochschule für Soziale Arbeit in Linz mit Schwerpunkt (Post-)Migrationsgesellschaft über „Critical Whiteness“ (Tißberger 2017). Kurz gesagt, ging es dabei um das Thema, wie weit mir z.B. als der Mehrheitsgesellschaft angehöriger (hier in Mitteleuropa also weißer) Psychotherapeut die damit verbundene gesellschaftliche Position bewusst ist, wenn ich z.B. mit Migrant:innen arbeite. Michael White, einer der Begründer der narrativen Therapie, war sich – das zeigen viele seiner öffentlichen Äußerungen – immer der privilegierten Stellung, welche er als Psychotherapeut in Australien hatte, bewusst. Ich glaube, es war ihm auch klar, dass man dieses ‚Sich bewusst machen‘ immer wieder neu schaffen muss und nicht ein für alle Mal ‚hat‘. Hier zeigte der Vortrag von Frau Tißberger sehr schön, wie ich z.B. als weibliche, emanzipierte Psychotherapeutin gerade deswegen bei Klientinnen aus patriarchaleren Kulturen aufgrund meiner Werte das Verstehen der anderen Person verfehlen kann. Das passt thematisch und führt so zum aus meiner Sicht letzten Höhepunkt, ebenfalls am letzten Kongresstag, dem 10.6.: Nämlich der Dialogveranstaltung zum Thema „Migration“. Es gab spannende und auch erschütternde Einblicke, wie es am Rand Europas, in diesem Fall in Lesbos, wirklich aussieht. Es war aber gerade auch berührend, wie es Gemeinschaft, Dialog und gegenseitige Hilfe gerade auch unter so schwierigen Bedingungen wie im Flüchtlingscamp auf Lesbos gerade auch gibt.Ich habe gelernt, dass man einen „Migrationsvordergrund“ haben kann. Das war von den zwei Podiumsdiskussionen, die ich erlebt habe, diejenige, bei welcher am meisten der von den Veranstalter:innen gewünschte Dialog zustande kam – und zwar auch getragen von therapeutischen Kolleg:innen mit „Migrationsvordergrund“.

Das ist nun mein sehr subjektiver Bericht von einem sehr gelungenen Kongress. Wie immer bei solchen Veranstaltungen sind viele Workshops paralell und der Besucher, die Besucherin muss eine Auswahl treffen. Mein Bericht wäre selbstverstänlich anders, hätte ich andere Workshops besucht, das ist klar. Und auch die Podiumsdiskussionen/Dialogveranstaltungen waren teilweise paralell, so dass ich hier nur von zwei der vier Dialogveranstaltungen berichten konnte. Aber vor allem bei der Dialogveranstaltung zum Thema „Migration“ habe ich wirklich einen gelungenen Dialog ‚in nuce‘ wahrgenommen. Vielleicht habe ich den gelungensten Dialog in einem paralell stattfindenden Panel verpasst, wer weiß? Der Hinweis, welcher in dieser Diskussion über Migration auch gefallen ist, dass nämlich hier im Raum der Veranstaltung kein Abbild der aktuellen Gesellschaft saß – denn dafür waren zu wenig Personen mit ‚Migrationsgeschichte‘ (mir fällt leider kein gescheiterer Ausdruck ein und ich hoffe, dieser ist nicht zu unpassend) da –  führt mich aber noch zu dem anfangs angekündigten Gedanken des implizit im Kongress auch Vorhandenen, das aber nicht ausgesprochen wurde: Der Ankündigung der Veranstaltung kann man/frau nämlich entnehmen: „Die Menscheit und unser Planet erleben aktuell folgenreich Krisen. Die Welt ist politisch, gesellschaftlich und biologisch in beunruhigender Weise in Bewegung geraten … Wir möchten deshalb bei diesem internationalen Kongress … einen Dialog von führenden Vertreter:innen der narrativen Therapie mit wichtigen Vertreter:innen unterschiedlicher philosophischer Strömungen ermöglichen.  Dabei soll v.a. Fragen nachgegangen werden, die sich mit Möglichkeiten beschäftigen, wie marginalisierten, an den Rand gedrängten, benachteiligten Gruppen in einer Zeit und in einer Welt von radikalen Umbrüchen und Einschnitten Raum und Stimme gegeben werden kann“ (aus der Einleitung des Kongress-Programms). Gender, Migration, Rassismus/Kolonialismus, das sind ohne Frage Themen, die marginalisierten Gruppen hoffentlich eine Stimme geben können. Aber die politische, gesellschaftliche und biologisch beunruhigende Bewegung, die der Einleitungstext des Tagungsprogramms insinuiert, ist ja wohl mit diesen Themen noch nicht repräsentiert – und möglicherweise fehlt auch hier ein Teil der Personen, mit denen man um diese Themen in den Dialog zu bringen schlichtweg ins Gespräch kommen müsste, auch nicht da in einer Gruppe von größtenteils Psychotherapeut:innen. Wer würde bei politisch, gesellschaftlich und biologisch nicht an den Krieg in der Ukraine, an die vielbeklagte Spaltung unserer Gesellschaft und an die von dieser Gesellschaft in den letzten Jahren erlittene Corona-Pandemie denken? Das ist das „Abwesende, aber implizite“ (um einen bekannten Ausdruck Michael Whites zu gebrauchen), das man als Subtext dieses Kongresses lesen kann. Was ich natürlich nicht wissen kann, ist, ob einer oder mehrere dieser ‚Subtexte‘ in einem der zahlreichen Workshops, die ich nicht besuchen konnte, explizit da war? Schön wäre es auf jeden Fall, und ich würde es mir wünschen, wenn solche Veranstaltungen wie dieser Kongress über „Geschichten, die die Welt bewegen“ eine Art Samen sein könnten, um noch mehr in den Dialog, in die Auseinander-Setzung zu kommen, auch mit den Themen, die hier in der Kongress-Veranstaltung benannt, aber dort nicht weiter ausgesprochen wurden. Hier möchte ich den Untertitel des letzten, posthum veröffentlichten Buches von Michael White, „Continuing the Conversations“ als passendes Motto nehmen für das, was, wie ich glaube, gesellschaftlich not-wendig ist, was not tut – und vielleicht muss man diese notwendigen Gespräche sogar erst anfangen, sie erst suchen, bevor man diese hoffentlich fortsetzen kann.

Alles in allem: Ein sehr inspirierender, gelungener Kongress – der mir Lust auf mehr macht!

 

Literatur:

David Denborough (2017): Geschichten des Lebens neu gestalten. Vandenhoeck & Ruprecht.

Jakob/Borcsa/Olthoff/v. Schlippe (2022): Narrative Praxis. Ein Handbuch für Beratung, Therapie und Coaching. Vandenhoeck & Ruprecht

Jan Olthoff & Peter Jacob: Die Bedeutung nomadischer Theorie für die Entwicklung neuer Praxisformen narrativer Therapie – ein Dialog. In: Jakob et al. 2022, S. 24-40

Jan Olthoff: Das nomadische Team: Zusammenarbeit in der narrativen Psychotherapie. In: Jakob et al. 2022, S. 165-182

Martina Tißberger (2017): Critical Whiteness. Zur Psychologie hegemonialer Selbstreflexion an der Intersektion von Rassismus und Gender. Springer.

Michael White (2011): Narrative Practice. Continuing the Conversations. W.W. Norton & Co